36 VIEWS OF BABEL

 

Genesis 11:9

Im Anschluss an die Verse über die Sintflut im Buch Genesis erzählt die Bibel die Geschichte davon, wie die Menschheit Richtung Osten wanderte. Noch vereint durch eine gemeinsame Sprache siedelten sie sich in einem Land namens Schinar (Babylon) und begannen, eine große Stadt zu erbauen. Ihr Herrscher, König Nimrod, gab den Bau eines gewaltigen Turms „mit einer Spitze bis zum Himmel“ in Auftrag. Doch Gott ließ, erzürnt über die menschliche Dreistigkeit, in göttliche Sphären vordringen zu wollen, alle Arbeit zu einem abrupten Stillstand kommen. Er machte aus der einen gemeinsamen Sprache eine Vielzahl von Sprachen, und so brach Chaos aus. Die Menschen verließen die Stadt und den Turm und verstreuten sich auf der ganzen Welt.
Im Gegensatz zum Turm ist die biblische Erzählung mit nur zwei Absätzen überraschend kurz und dennoch seit jeher besonders für die Bereiche der Kunst und Literatur von großer Bedeutung.

 

Mein Turm zu Babel

In den vergangen zwei Jahren habe ich an (m)einem eigenen Bauprojekt gearbeitet und plane – vorausgesetzt, Gott hat nichts dagegen einzuwenden – 2022 eine Serie namens „36 Ansichten des Turms zu Babel“ fertigzustellen.
Die Inspiration für diese Serie hat drei verschiedene Ursprünge: die biblische Erzählung selbst, Pieter Bruegels „Turmbau zu Babel“ und Katsushika Hokusais „ukiyo-e”-Farbholzschnittserie „36 Ansichten des Berges Fuji”.

 

36 Ansichten des Berges Fuji

Der Turm zu Babel wird oft als überdimensionales Gebäude, das weit über Babylon ragt, abgebildet. Hokusai stellt den Berg Fuji auf eine ähnliche Art dar: über Edo (Tokio) und die umliegende japanische Landschaft ragend. Jedoch steht der Vulkan in seiner Serie von 36 Farbholzschnitten keineswegs immer im Zentrum. In manchen Holzschnitten ist er überlebensgroß dargestellt, in anderen wiederum erscheint er unglaublich fern. Manchmal ist er bloß ein Fleck am Horizont, der zwischen den Wolken, oder bekanntermaßen zwischen den sich brechenden Wellen hindurchschaut. Hokusai illustriert, dass Fuji, ob klein oder groß, omnipräsent ist. Rauchend oder inaktiv, er ist so konstant wie das Auf- und Untergehen der Sonne. Es scheint als würde er sagen, Fuji wäre das Schicksal selbst: der Inbegriff der immerwährenden Präsenz des Menschlichen und des Göttlichen. Die Frage ist nicht, ob der Vulkan ausbrechen wird, sondern wann.
In meiner Serie möchte ich eine Parallele zwischen Hokusais Fuji und dem Turm zu Babel ziehen. Der Turm repräsentiert gleichzeitig die Zerbrechlichkeit und den gewaltigen Ehrgeiz der Menschheit: hochtrabend, dreist, manchmal schlecht proportioniert und unglaublich instabil.

 

36 Ansichten des Turms zu Babel

Ich begann die Serie mit einem Bild, das den Turm auf Augenhöhe betrachtet darstellt. Es ist ein riesiger Querschnitt, vom Fluss Styx unter der Erde weg so weit nach oben, wie es mir es mir möglich war. Nachdem ich dieses erste Bild fertiggestellt hatte, begann ich, den Turm aus verschiedenen Perspektiven darzustellen: von unten herauf- und von oben herabblickend. Mein Ziel ist es, eine auf alles anwendbare Geschichte zu erzählen, und deswegen habe ich versucht, mir in jedem Bild die Architektur, den Schauplatz und den zeitlichen Rahmen neu vorzustellen. Ein Bild stellt den Turm weit im Hintergrund der Hängenden Gärten von Babylon dar, ein anderes zeigt ihn aus der Perspektive König Nimrods, der triumphierend vor seinem dem Untergang geweihten Meisterwerk steht. In seinem Buch „Harte Zeiten” vergleicht Charles Dickens die Schornsteine der industriellen Revolution mit dem Turm zu Babel, und diese Idee wurde Grundlage eines kleines Bilds meiner Serie. Außerdem habe ich ein Bild von Moby Dick gemalt, zu dem ich von Herman Melvilles Vergleich des Mastens der Pequod mit dem Turm zu Babel inspiriert wurde. Mir scheint, Melville bezieht sich in seiner Schilderung von Kapitän Blighs verzerrtem Ehrgeiz und der sprachlichen Vielfalt seiner Crew noch weiter auf die biblische Erzählung.

Ein weiteres Bild meiner Serie zeigt ein regnerisches Wien, auf dem der Turm zu Babel nur auf einem Plakat des Kunsthistorischen Museums zu sehen ist. Eine andere, größere Leinwand der Serie ist das Phantasiebild eines zerstörten Turms zu Babel unter Wasser. Auf einem weiteren Bild ist das zerbröckelnde Denkmal eines Elefanten zu sehen, das Napoleon, nachdem er den Idealen der Revolution den Rücken gekehrt und sich zum Kaiser gekrönt hatte, sich selbst zu Ehren errichten ließ. Das nie fertiggestellte Monument verfiel zu einer Ruine, eine Geschichte, die der vom Turm zu Babel ungemein ähnelt. Ich sehe den Turm als Symbol für Ehrgeiz. Napoleonischen, enormen Ehrgeiz, aber auch den sanfteren Ehrgeiz eines Kindes vor einem Stapel Lego. Ich möchte den Turm als einen verzweifelten Schrei zum Himmel zeigen, und wie Hokusais Fuji sehe ich den Turm zu Babel als Symbol für unsere letztliche Verwundbarkeit und Vergänglichkeit.

Genesis 11:9

In the book of Genesis, following the verses about the great flood, the Bible tells the story of mankind migrating eastward. Arriving in the land if Shinar (Babylonia) and still united by a single language, work is begun on the construction of a great city. Their ruler, King Nimrod, orders a massive tower “with its top in the heavens” to be erected. God, infuriated by the audacity of humanity’s encroachment into the divine sphere, abruptly brings all work to an end. He confounds speech into a myriad of languages, and chaos ensues. The tower and the city are abandoned and humanity scatters in discord to all corners of the earth. Unlike the mighty tower, the biblical story itself is surprisingly brief, entailing two short paragraphs. Yet its impact, especially on the world of art and literature, has been dramatic and far-reaching.

 

My Tower of Babel

For the past two years I have been working on my own construction project. With luck (and barring any negative divine intervention) I anticipate completing a series titled “36 Views of the Tower of Babel” in 2022.

My inspiration for the series comes from three sources: the biblical story itself, Peter Breugel’s “The Tower of Babel,” and from one of my favourite artists, Katsushika Hokusai, and his “ukiyo-e” series of wood block prints, “36 Views of Mount Fuji.”

 

36 Views of Mount Fuji

The Tower of Babel is commonly portrayed as an oversized edifice looming over Babylonia. Hokusai often presents Mount Fuji in a similar way; looming over Edo (Tokyo) and the surrounding Japanese countryside. However, in his series of 36 woodblock prints the volcano is by no means always front and centre. Indeed, in some prints it is portrayed as larger than life, whereas in many others Hokusai chooses to show the mountain impossibly far in the distance. At times it is only a tiny shard on the horizon, peeking between clouds or, famously, between the crashing waves. Hokusai illustrates that Mount Fuji, big or small, is omnipresent. Smoking or dormant, as inevitable as the rising and the setting of the sun. He seems to say that the volcano is fate itself: an embodiment of the continuous presence of the human and the divine. The question is not if an eruption will happen, but rather when.

In my series I endeavour to draw a parallel between Hokusai’s Fuji and Babel. The Tower represents mankind’s fragility and grandiose ambition – pompous, audacious, at times ill- proportioned, and utterly unstable.

 

36 Views

I began the series by looking at the tower eye to eye. It is a huge cross section beginning deep underground at the River Styx, to as high as I could reach. After that initial canvas was completed I began examining the tower from different perspectives; from the bottom looking up and from the top looking down. My aim is to tell a universally applicable story, so in each work I am attempting to reimagine the architecture, the setting, the timeframe. One painting depicts the hanging gardens of Babylon with the tower far in the background, and another is from the perspective of King Nimrod, standing triumphantly at the precipice of his doomed masterpiece.

In H ard T imes, Charles Dickens compares the chimneys of the industrial revolution to the Tower of Babel. I used this idea as the theme of a small painting. As part of the series I also painted Moby Dick, drawing inspiration from Herman Melville’s comparison of the soaring mast of the Pequod to Babel. In Captain Bligh’s distorted ambition and the linguistic diversity and confusion of the crew, it seems to me that he makes further reference to the biblical story.

Other works in the series include a rainy cityscape of Vienna with Babel only visible in a poster for the Kunsthistorisches Museum, a larger canvas depicting a fantasy of a destroyed Babel now underwater, and a crumbling elephant monument decreed by Napoleon to be built in his name after he abandoned the ideals of the revolution and crowned himself Emperor. This monument, never completed, fell to ruin; a story that, to me, seemed perfectly Babelesque.

I see the Tower as a symbol of ambition; an enormous, Napoleonic ambition, but also the quieter ambition of a child with a set of Lego. I aim to show the Tower as a desperate scream to the heavens, and like Hokusai’s Fuji, I see the Tower as a symbol of our ultimate vulnerability and fragility.